Manche Menschen denken, dass Yoga automatisch immer etwas Gutes ist. Sowohl im geistigen, seelischen und körperlichen Bereich darf und muss man es vielleicht sogar auch kritisch hinterfragen. Hier ein Beitrag zur körperlichen Ebene.

Yoga spielt in der Liga von Achtsamkeit und „Self-Care“. Daher mögen Menschen davon ausgehen, man sei sicher vor Verletzungen. Blicken wir in die Yoga-Welt, können wir diese Illusion früher oder später erkennen. Wenn der Yogalehrer, den wir wegen seiner fantastischen Armbalancen anhimmeln, sich plötzlich eine Schulterverletzung zuzieht und von nun an ein „Thema“ mit seiner Schulter hat. Oder wenn wir selbst nach intensiver Yogapraxis unter Schmerzen leiden.

Ich selbst machte diese Erfahrung, als ich damals „Bikram bzw. Hot Yoga“ praktizierte. Ich erlitt eine Verletzung an der Achillessehne, die mir monatelang Schmerzen bereitete und meine Yoga-Praxis stark einschränkte. Ich ließ „Hot Yoga“ daraufhin los. Auch wenn ich selbst die Erfahrung brauchte, die Praxis meinen eigenen Stil prägte und ich sie deshalb nicht missen möchte, empfehle diesen Yogastil nie unkommentiert weiter.

Doch selbst „Yin Yoga“, welches auf so sanften Pfoten daherkommt, kann Verletzungen auslösen. Es ist immer – wirklich immer – das, was du selbst daraus machst.

Du kannst zum „Hot Yoga“ gehen und die Ansagen von „Geh tiefer rein, tiefer, tiefer – Push!“ lassen dich unberührt und du bleibst gut bei dir. Machst dein Ding und fließt voller Gelassenheit in Offenheit und Achtsamkeit für das Erweitern deiner Grenzen durch 90 Minuten schweißtreibende Praxis. Du kannst aber auch zum Yin Yoga gehen und an dir rumreißen, als würde vor dir ein Drill-Sergeant stehen.

Es können dabei Verletzungen entstehen. Es ist ein Körper aus Fleisch und Blut. Es gibt Sehnen, Bänder und Muskeln und wenn wir an denen unsanft herumreißen, finden die das manchmal doof. Der Körper macht viel mit, passt sich an. Wächst. Juhu.

Das Resultat können jedoch genauso schmerzhafte Entzündungen und Verspannungen in der Hüfte, in der Schulter oder im Nacken sein. Oder dein Ischias-Thema wird nach dem Yin Yoga noch schlimmer. Dann weniger juhu.

Viel hilft viel?

Bei uns Menschen sind scheinbar ein paar Dingen schräg gelaufen, sodass wir häufig diesem Druck und der Härte erliegen, noch besser sein zu müssen. Dass wir nicht unserer gesunden Lebenskraft das natürliche Wachstum überlassen können. Denn wir wollen wachsen, uns weiterentwickeln. Ganz klar. Das liegt in unserer Natur. Geben wir dem keinen Raum, verkümmern wir und werden unbeweglich. Und am Ende des Lebens liegen diese Menschen trocken und verbittert auf dem Sterbebett, weil sie realisieren, dass es nun zu spät ist. Das ist die andere Seite des Extremen. Wir müssen wachsen und lernen – jeden Tag. Und ich verwende das Wort „müssen“ wirklich nur selten. Doch die Frage ist mit welcher Haltung. Mit welcher Haltung gehe ich zum Yoga? Wie finde ich mein Maß, meine Balance?

Es ist ok, – wir sind eben verletzliche Wesen. Und es ist ok, wenn wir unsere Grenzen austesten. Sie manchmal überschreiten und von den Konsequenzen lernen dürfen. Jede Verletzung erzählt uns etwas Wichtiges über uns. Wir verletzen uns emotional. Wenn wir in Beziehung gehen, lässt sich das manchmal gar nicht vermeiden. Anschließend pflegen wir unsere Wunden und kommen uns im besten Falle dabei selbst näher. Doch gerade im körperlichen und spirituellen Bereich stellt sich die Frage: Wo willstn du eigentlich hin?

Als ich mit meiner Verletzung zu Hause saß, wurde mir klar: Es ist genau das Gleiche passiert wie immer. Ich bin gefangen im Rad von „höher, schneller, weiter“. Ich wollte nicht schlank, flexibel und stark werden. Das war ich bereits. Sicherlich nicht in dem Ausmaß wie es mir manche Fotos in sozialen Netzwerken zeigen. Doch ich war gesund und konnte wirklich sehr zufrieden mit meinem Körper da sein. Aber nein, ich wollte schlanker, flexibler und stärker werden. Da wurde mir klar: Das wird nie aufhören! Wo will ich denn hin? Wann ist es genug? Da meine Antwort darauf bloß ein eher unangenehmes, großes schwarzes Loch war, stieg ich aus.

Es macht Freude, wenn man gewisse Asanas meistert, doch nimm dir bitte Zeit. Lass deinem Körper und deiner Seele die Freude und Neugier. Zieh nicht am Gras, damit es schneller wächst. „Das Geheimnis der Natur ist die Geduld“, war ein Zitat, was mir durch meine gesundheitlichen Krisen half. Das soll an dieser Stelle nicht ausschließen, dass im Yin Yoga ein angenehmer Dehnungsschmerz dazugehört. Es ist schön ihn zu spüren, wie es weicher wird und sich manchmal etwas löst. Es ist nur gut, wenn wir es nicht übertreiben.

Es ist eine Entwicklung in „das Sanfte“ hinein, anstatt in das Hineindreschen.

Was passiert, wenn ich mir und meinem Körper mit Freude und Fülle begegne? Mit Neugier und Sanftmut. Wirklich wahrnehme, was für ein unbegreifliches Geschenk dieser Körper ist, der uns diese Erfahrung hier als Seele in der Materie ermöglicht. Wir haben die Wahl unseren Körper als ein Meisterwerk der Natur zu ehren oder ihn für unsere Ego-Wünsche als Werkzeug zu missbrauchen. Ich möchte nicht als Moralapostel den Zeigefinger erheben, auch wenn ich mir wohl manchmal eingestehen muss, dass es diese Instanz auch in mir gibt. Es ist voll ok deinen Körper für dein Ego zu pushen und es voll ok hier den Zeigefinger zu heben. Richtig super wird es, wir uns bewusst darüber sind, was gerade passiert.

Und es ist auch vollkommen ok, wenn wir das erst lernen dürfen. Das Sanfte. Lernen und erfahren dürfen, dass sich Wunder oft im Feinen und Subtilen entfalten. Wir erfahren dürfen, was geschieht, wenn es weich und langsam wird. Wenn die Härte mal weicht.

Wir sind einfach häufig davon geprägt, dass wir starke Impulse brauchen, um uns überhaupt zu spüren. Wir latschen manches Mal über unsere eigenen Grenzen, ohne es überhaupt mitzubekommen.

Es darf ein Lernen sein in das Sanfte. Das Sanfte kann dann auch sehr mächtig und kraftvoll sein. Wir dürfen lernen, was passiert, wenn wir uns wirklich hingeben, wirklich loslassen. Ein Leerwerden und Abgeben in die Stille hinein. Ein vertrauensvolles sich „Hineinentspannen“ in das Leben, in eine Asana. Ich sehe, dass es für manche Menschen nicht geht. Da ist zuviel anderes passiert. Da gibts kein Vetrauen, kein Entspannen. Und manchmal erfordert das Leben vielleicht Härte und Schnelligkeit. Auch das möchte anerkannt werden. Dieser Text soll bloß eine Erinnerung sein. Ein Text der dir zuruft „Mach langsam, du darfst dich auch entspannen und darin fantastisch sein.“